„Die Gesellschaft sollte erkennen dass niemand nur ausschließlich Opfer oder nur Mann ist“

Bin gerade etwas gelangweilt meine Newsfeeds auf meinem Schlaufon durchgegangen. Dort habe ich mir dann nach langer Zeit wieder den Feed vom „netzwerkB“ angesehen. Das netzwerkB  behandelt Fälle von Missbrauch. Zumeist Kindesmissbrauch, aber auch Missbrauch von Schutzbefohlenen allgemein. Wie zumeist, werden auch hier Männer oftmals als die Täter dargestellt. Umso überraschter war ich, als ich in deren Feed, den Artikel

Die Gesellschaft sollte erkennen dass niemand nur ausschließlich Opfer oder nur Mann ist

entdeckt habe.

Allein der Titel sagt es schon: Auf der einen Seite das Opfer und auf der anderen Seite der Mann. Der Mann als Täter. Der Titel macht geschickt auf die heutige Situation aufmerksam: Es gilt ausschließlich der Mann als Täter. Dass Frauen ebenfalls Kinder, Schutzbefohlene oder gar ihre „eigenen“ Männer bzw. Partner missbrauchen, steht völlig außerhalb der Wahrnehmung.

Beate Lindemann-Weyand spricht in ihrem Artikel über das große Tabu, dass Jungen ebenfalls Opfer von Missbrauch sein können. Sie erzählt die Geschichte eines Schauspielers, der in einer Talkshow zugegeben hat, dass er einst ein Opfer eines sexuell motivierten Übergriffes war. Die Reaktion war befremdlich: Es wurde gelacht. Das mag daran gelegen habe, dass diese Geschichte ebenfalls lachend erzählt wurde. Dies zeigt, dass es in unserer Gesellschaft einige elklatante Unterschiede in der Wahrnehmung und Behandlung von sexuellem Missbrauch gibt.

Warum aber gibt es diese Unterschiede? Beate Lindemann-Weyand ergeht sich nun in einer eher wirren Analyse der Situation, warum Männer/Jungs keine Opfer, sondern nur Täter sind. Zunächst einmal blendet sie die Sichtweise auf den Mann als Täter komplett aus. Sie betrachtet den Mann/den Jungen, der Opfer geworden ist, als Mensch, der das Opfer sein umgeht, um durch die Gesellschaft noch als Mensch betrachtet zu werden, weil – in ihren Augen – ein Opfer nur ein Opfer und kein Mensch mehr in der Betrachtung der Gesellschaft sein kann. Immerhin sieht sie die Gefahr, dass die Täterschaft bei männlichen Opfern erlischt, sobald sich das männliche Opfer nicht mehr als Opfer darstellt („denn wo kein Opfer, da keine Taten“).

Ist es aber so, dass man weibliche Opfer sexueller Gewalt ausschließlich als Opfer und nicht mehr als Mensch sieht? Hat man nicht gerade ein Mitgefühl, weil ein Mensch Opfer wurde? Ich bezweifle diese Sicht, dass jemand nur noch ausschließlich Opfer und nicht mehr „Mensch“ ist. Natürlich geht es dann auch wieder um die Frau als Opfer:

„Männer trifft die ausschließliche Opfer-Rollenzuschreibung noch viel härter. Denn die Gesellschaft ist es bisher nur gewohnt, dass Frauen Opfer sein können. Auch wenn diese Zuschreibung Frauen leider auch immer noch festkettet an bestimmten Klischees und es noch viel zu tun gibt, Frauen dennoch ernst und für voll zu nehmen, kommen Männer als Opfer nach wie vor überhaupt nicht vor.“

Vielleicht bin ich ja verblendet, dass ich immer Mitleid mit dem Menschen habe, der sexuelle Gewalt erfahren hat. Vielleicht denke ich ja zu humanistisch um Frau Lindemann-Weyand hier folgen zu können. In der Tatsache, dass Männer nicht als Opfer sexueller Gewalt vorkommen, kann ich ihr aber folgen. Ich habe ähnliche Erfahrungen bezüglich häuslicher Gewalt gemacht. Ich denke, da spielt die genauere Einordnung auch keine Rolle mehr.

Dann kommt sie zum Prozess des „Sich-selbst-als-Opfer-Erkennens“. Sie beschreibt, dass das Opfer zunächst erst einmal selbst erkennen muss, dass es zum Opfer geworden ist und man erst dann nach „Außen gehen“ kann. Genau hier sehe ich das Problem für Männer: Der Mann wächst mit dem Bewusstsein auf, dass er ausschließlich als Täter und niemals als Opfer in Frage kommt. Wird er dennoch zum Opfer, türmen sich die Selbstzweifel, die Schuldzuweisungen an sich selbst und die Hinterfragung der eigenen Wahrnehmung des Missbrauchs zu einem unendlich hohen Turm auf. Aufgrund dieser Dinge kann sich der Mann oftmals gar nicht eingestehen, dass er zum Opfer wude. Diese Probleme gilt es zu bekämpfen.

Sie schneidet einige dieser Selbstzweifel und Ängste an. Allerdings finde ich, dass der Aspekt, an sich selbst zu zwefeln, sich selbst die Schuld zu geben vernachlässigt. Natürlich gibt es auch eine Angst vor den Reaktionen der Gesellschaft. Ich glaube aber, dass die Selbstzweifel und Schuldzuweisungen an sich selbst stärker sind.

Sie beschreibt, die Aufgabe der Gesellschaft, Jungen, die Opfer eines sexuellen Missbrauchs wurden, gerade während der Pubertät aufzufangen. Gerade die Pubertät ist eine gefährlich Zeit für solche Jungs. Bringen sich doch gerade während der Pubertät viele Jungen um. Sie bringt auch noch die Ängste ins Spiel, die ein Junge haben kann, schwul zu sein. Allerdings kommt nun bei ihr auch wieder der Mann als Täter ins Spiel. Ich persönlich bin ja der Ansicht, dass man zunächst einmal überhaupt das Bewusstsein für Jungs schaffen muss, dass sie Opfer werden können. Der Umgang mit einer möglichen Homosexualität sollte sich anschließen.

Ich habe gerade Schwierigkeiten damit, wenn ich Dinge über eine „mögliche Homosexualität“ schreibe. Homosexualität sollte überhaupt kein Thema sein, mit dem man „Besonders“  umgehen muss. Ich kann solche Ängste aber nicht nachvollziehen, da ich mein Leben lang heterosexuell war. Was aber ändert das Geschlecht des Täters an der Tatsache, dass man Opfer geworden ist? Ist es nicht auch schlimm, wenn man von dem Geschlecht, dass man als „vermeintlich sicher“ dargestellt bekommen hat, missbraucht wurde? Ich kann diese Frage nicht beantworten. Ich kann eine Antwort nichtmals erahnen.

Am Ende stellt die Autorin noch einige wichtige Fragen:

  • Was ist Männlichkeit?
  • Bloß kein Opfer, dann lieber Täter, oder irgendetwas „Unsichtbares“ dazwischen?
  • Wer ist man(n), und kann Mann sein, wenn man kein Opfer sein darf, weil man sonst zum „nur noch Opfer“ gemacht wird?

Alles in allem stellt der Artikel mehr Fragen als er Antworten gibt. Vielleicht war aber genau dies die Zielsetzung von Beate Lindemann-Weyand.
Vielleicht war genau das ihr Ziel: Dass man sich zunächst einmal bewusst wird, dass es männliche Opfer gibt und diese nicht vergessen und vernachlässigen darf.

Den Titel ihres Artikels finde ich genauso gut, wie das Aufgreifen des Themas „Das männliche Geschlecht als Opfer sexueller Gewalt„.

 

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