Das unbekannte Wesen Telefon – soziale Phobie?

Seit heute hat ein Problem von mir einen Namen bzw. es hat eine Kategorie erhalten: Soziale Phobie.

Meine Probleme zu telefonieren, werden also in die Schublade der sozialen Phobien gesteckt. Gut, heutzutage ist es modern alles als Phobie zu bezeichnen, was von der Norm oder der politisch korrekten Meinung abweicht.

Kurz mal telefonieren, Termine machen beim Arzt oder Friseur – für die allermeisten Menschen ist das so normal wie Atmen. Für manche aber ist es eine Horrorvorstellung – sie leiden an einer sozialen Phobie.

So steht es im Artikel Soziale Phobie: Wenn Telefonieren Ängste schürt von Spiegel Online. Es geht um Menschen, die Schwierigkeiten haben, andere Menschen anzurufen. Der Artikel spricht sogar von Telefonphobikern. Auch wenn ich die geschilderten Symptome wie die feuchten Hände, die Schweißausbrüch, Herzklopfen und Prüfungsangst nicht habe, eins ist sicher:

Ich habe Probleme andere Leute anzurufen.

Ich bin also jetzt nicht nur Homophobiker, sondern auch Telefonphobiker. Ich bin also krank. Wenn jemand Schwierigkeiten hat, jemanden anzurufen, wird ihm direkt eine Phobie untergeschoben. Dann behandele ich meine Erkrankung doch gleich einmal selbst:

Ich habe immer viel und gerne telefoniert. Ich telefoniere auch immer noch gerne lang und viel. Ich bin ein sehr sozialer Mensch. Den Ausdruck „soziale Phobie“ muss ich extrem von mir weisen. Der Artikel nimmt sich im Verlauf auch ein wenig zurück, indem er die Menschen, die Probleme mit dem Anruf bei anderen Menschen haben, als dennoch sozial beschreibt.

Bei mir aber ist der Grund ein ganz einfacher: „Meine“ Borderlinerin ist nach jedem Telefonat, das ich Zuhause geführt habe,  regelmäßig ausgeflippt und oftmals auch gewalttätig geworden. Ich habe mir zunächst immer mehrfach überlebt, ob ich telefonieren oder es lieber lassen soll. Aus diesen Überlegungen ist dann im Laufe der Zeit ein „es lieber lassen“ geworden. Ich habe also das private Telefonieren komplett eingestellt.

Nun ist es aber so: Man kann einem erwachsenen Menschen viele Dinge sehr gut abgewöhnen, sind diese Dinger aber erst einmal abgewöhnt, fällt es diesen Menschen schwer, sich diese Dinge wieder anzugewöhnen. Zumindest ist dies bei mir der Fall. (Lassen wir Drogen einmal beiseite.) Daran ändert sich auch nichts, wenn sich so langsam eine soziale Isolation einstellt. Man ist ja nicht fähig, die Isolation über das Telefon aufzubrechen.

phoneIch zumindest bin mir dieser Problematik bewusst. Um aus dieser Falle hinauszukommen, helfen mir leider nur Termine. Ich setze mir feste Termine für Telefonate. Dabei ist gerade mein Smartphone behilflich: Es klingelt mich zu diesen Telefonterminen wach. Sehe ich diesen Termin, sehe ich mich nahezu dazu gezwungen zu telefonieren. Dann klappt es auch.

Es ist nämlich so: Ich besitze zwar ein Telefon, ohne diese Termine oder Anrufe hin und wieder, wäre es so, als hätte ich tatsächlich keinen Telefonanschluss. Die Probleme in meiner „Borderlinebeziehung“ führten nämlich dazu, dass ich das Telefon zwar wahrnehme, ich aber Probleme habe, die Motivation aufzubringen, den Hörer aufzunehmen und eine Nummer zu wählen. Es ist keine Angst vor dem Gespräch bei mir. Es ist einfach so, als wäre mein Telefon das unbekannte Wesen. Dabei ist es mir sehr wohl bekannt. Es gibt eben einfach eine Blockade.

Wie viele Menschen unter dem gleichen Problem leiden, ist nicht bekannt. Es existiert keine klinische Diagnose Telefonphobie, sagt Psychologin Sophie Bischoff von der Angstambulanz der Berliner Charité. „Es ist zu fragen: Welche Befürchtung steht dahinter? Dass man stottern, sich verhaspeln könnte und die Angerufenen dann schlecht von einem denken?“ Ist das der Fall, sei die Angst als Form einer sozialen Phobie zu beschreiben. Auch andere Gründe können dahinter stecken, dass Menschen nicht zum Telefonhörer greifen mögen, etwa eine Depression.

Diese Dinge treffen auch mich allesamt nicht zu. Ich habe keine Angst vor dem Telefonat an sich. Man hat mir nur eben die Erfindung „Telefon“ ausgetrieben. Interessant aber, dass es eine Angstambulanz gibt. Mir kommen jetzt gerade allerdings leider nur zeichentrickartige Vorstellungen in den Sinn von zitternden Kaninchen, die sich an Wänden entlang drücken. (Ich weiß, das Thema ist ernst!) Wie hat man sich eine Angstambulanz vorzustellen? Wer finanziert eine solche Angstambulanz? Wie hilft man Leuten mit Ängsten vor Kliniken und ärztlichen Einrichtungen? Ich weiß es nicht.

Wäre ich nun ein Mensch, der Angst vor der Gesellschaft hat, würde ich bestimmt keine Artikel für Webseiten schreiben und mich der Kritik stellen. Bei mir sind die Gründe aber offensichtlich. Mir ist das Telefon einfach ausgeprügelt worden. Es ist aber interessant, dass aus allem, was nicht „normentsprechend“ funktioniert, direkt eine Krankheit gemacht und als „Phobie“ bezeichnet wird.

Es ist derzeitig paradox, wie die Menschen Dinge be- und verurteilen. Alles was in die Ideologie passt, ist ein Zeichen der Vielfältigkeit und ist zugleich bunt wie der Regenbogen, aber Dinge, die nicht in diese Ideologien passen, die werden allesamt als krank bezeichnet. Es ist sogar schon krank, wenn man sich Sorgen um die Psyche des Kindes macht, wenn es morgens zur Schule geht, weil dort ideologische Dinge verbreitet werden, die der Kinderpsyche schaden.

Zum Glück habe ich im Laufe der Jahre einige meiner Phobien – Höhenangst, Raumangst – verloren. Ansonsten bekäme ich so langsam Probleme beim Zählen, da ich doch zu sehr von der Norm abweiche. Leider bin ich nicht bunt wie der Regenbogen oder ideologiekonform:

Daher muss ich wohl „vielfältig“ krank sein.

Ich habe heute übrigens schon telefoniert. 45 Minuten, nachdem ich mir für dieses Telefonat einen Termin gesetzt habe. Telefonate mit guten Freunden fallen mir auch nicht mehr schwer. Ich komme wohl um therapeutische Hilfe herum.

Höhenangst, Panikattacken, soziale Phobien: Krankhafte Ängste sind weit verbreitet – und werden oft verschwiegen. Dabei sind sie meist mit geringem Aufwand gut zu behandeln. Jetzt haben Experten eine neue Behandlungsleitlinie vorgestellt.

Auf den ersten Blick erscheint mir in der Aufzählung nur die Panikattacken als krankhaft, wenn ich bei der sozialen Phobie vom Thema „Telefonphobie“ ausgehe. Ich selbst hatte Höhenangst. Ich empfand sie weder als krankhaft noch hatte ich das Gefühl, sie verschweigen zu müssen.

Es ist allerdings verwerflich, die Panikattacken in diese Aufzählung aufzunehmen. Panikattacken sind tatsächlich etwas sehr Schwerwiegendes und Behandlungsbedürftiges.

Irgendwie kommen mir direkt immer Dinge in den Sinn, die uns als völlig normal dargestellt werden sollen, die völlig von diesem Phobiewahn ausgenommen werden: Transsexualität gilt bei vielen als völlig normal, während die Probleme zu telefonieren als krankhaft und behandlungsbedürftig dargestellt werden.

Ich bin jetzt einmal ganz schlicht: Ich finde die Entscheidung, das andere Geschlecht anzunehmen, um einiges radikaler als Probleme zu haben, jemanden anzurufen. Während man das eine auch direkt offensichtlich bemerkt, kann sich der Telefonphobiker ein Leben lang unentdeckt durch die Gesellschaft schleichen! Man stelle sich das einmal vor!

Es gibt eine Doppelmoral, was Phobien und psychische Erkrankungen angeht: Passen sie in die Ideologie, sind sie bunt, vielfältig und erstrebenswert, sind sie irgendwie auf eine andere Art von der Norm entfernt, dann sind sie krank.

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6 Gedanken zu „Das unbekannte Wesen Telefon – soziale Phobie?

  1. Besser so, als so …

    „Nomophobia ist ein im Jahr 2008 geprägter, englischer Begriff: No-Mobile-Phone-Phobia oder die Angst, über kein Telefon zu verfügen bzw. nicht über das Handy erreichbar zu sein. Schütteln Sie jetzt besser nicht den Kopf und denken sich: „Was es nicht alles geben soll!“
    2012 waren in Großbritannien mehr als 66 Prozent von der modernsten Phobie unseres Zeitalters betroffen. Da es in Deutschland nicht weniger Smartphones gibt als auf den Inseln, dürfte unsere Situation wohl ähnlich sein.“

    http://www.tb-guide.de/ratgeber/gesundheit/krankheit-unserer-generation-nomophobie

  2. Es hat zwar nur wenig mit Deinem Artikel zu tun, aber soziale Phobien gibt es wirklich. An der Uni meiner Heimatstadt werden seit Jahren entsprechende Untersuchungen im MRT durchgeführt, und ein Ergebnis ist, daß z. B. vor vorgestellten Gruppensituationen das Gehirn des „Phobikers“ schon meldet, daß es dem „Phobiker“ nicht gefällt – schon bevor es diesem bewußt ist. Wie die meisten Ängste (Höhenangst, Spinnenfurcht) läßt sich das willkürliche (!) Verhalten aber trainieren.

    Ein Bonmot am Rande: wie mir eine der Wissenschaftlerinnen mitteilte, ist es zwar gar nicht so schwer, per Email z. B. Leute mit der Angst, vor Gruppen zu sprechen, zu kontaktieren. Die meisten getrauen sich aber dann doch nicht zu den vereinbarten Terminen…

    1. Ich sage ja gar nicht, dass es soziale Phobien nicht gibt. Ich finde es nur bedenklich, wenn man die Angst, jemanden anzurufen mit Panikattacken in einem Atemzug nennt.

      1. Was ist daran bedenklich? Auch das gibt es, sei dir versichert. Telefoniervermeidung ist ein mögliches, aber kein zwingendes Symptom. Ebenso, wie es andere Gründe für Telefonvermeidung gibt.
        Im übrigen spricht man bei Phobie von einer ‚Störung‘ eben aus dem einleuchtenden Grund, damit nicht plötzlich alle krank sind. Und eine ‚Störung‘ ist es, wenn es das eigene Wohlbefinden einschränkt.
        Wer gut damit leben und umgehen kann (wie du), prima. Es gibt auch Menschen, denen das den Job gekostet hat. Das schränkt dann doch irgendwie ein…

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