Paris – einige Gedanken

Mich haben die Anschläge von Paris recht heftig getroffen. Ich lebe in Berlin und Paris ist praktisch das Berlin von Frankreich für mich. Okay, in Paris herrscht mehr Liebe – zumindest assoziiert man Paris mit der Liebe. Das würde mir bei Berlin nie passieren. Ich denke aber, dass es mehr Parallelen als Unterschiede gibt.

Die Anschläge haben derartig getroffen, weil sie in der Nähe geschehen sind. Die Anschläge sind an Orten geschehen, an denen man sich vorstellt, selber sein zu können. Man sieht gar sich oder seine Freunde sterben. Die Angelgenheit wird subjektiv, Sie wird persönlich.

Objektiv sieht die Sache allerdings schon ganz anders aus.

Die ScienceFiles haben sich die Mühe gemacht und ein paar Zahlen und Fakten zum Terrorismus zusammenzustellen:

Seit 2000 kamen rund 107.000 Menschen durch Terroranschläge ums Leben.

  • Todesopfer sind etwa bei der Hälfte der Terroranschläge zu beklagen.
  • Auf OECD-Staaten entfallen rund 5{6c79e98453dbf2f5858ae679dab39f6c5ae7a5960e099204cbf24652808b0c3c} der Toten, die seit dem Jahr 2000 durch Terroranschläge getötet wurden.
  • Die 10 am stärksten von Terrorismus betroffen Länder sind:
    • der Irak: 6.362 Tote bei 2.492 Anschlägen allein im Jahr 2013;
    • Afghanistan: 3.111 Tote bei 1.148 Anschlägen;
    • Pakistan: 2.345 Tote bei 1.933 Anschlägen;
    • Nigeria: 1.826 Tote bei 303 Anschlägen;
    • Syrien: 1.078 Tote bei 217 Anschlägen;
    • Indien: 404 Tote bei 624 Anschlägen;
    • Somalia: 405 Tote bei 197 Anschlägen;
    • Jemen: 291 Tote bei 295 Anschlägen;
    • die Philippinen: 292 Tote bei 499 Anschlägen;
    • Thailand: 131 Tote bei 332 Anschlägen;

Wie man sieht, sterben in vielen anderen Ländern weitaus mehr Menschen wegen terroristischer Anschläge als bei uns. In vielen Ländern gibt es täglich mehr als einen Anschlag. Okay, bei vielen Anschlägen sterben nicht so viele Menschen wie bei den Anschlägen von Paris. Letztendlich kommen wir allerdings noch „ganz gut“ bei der Sache weg.

Die Fragen, die sich stellen:

  • Warum ist unser Wertesystem so, wie es ist?
  • Warum interessieren uns Tote in den eigentlich betroffenen Ländern weniger bis gar nicht?

Wenn wir ehrlich sind: Sind nicht wir die Verursacher für viele Krisengebiete? Haben nicht gerade die USA Chaos z. B. in Afghanistan und Irak mit unserer Hilfe geschaffen?

Wir sollten endlich die Ursachen bekämpfen und nicht erst wach werden, wenn es bei uns knallt, um dann völlig falsch zu reagieren.

Fefe hat diese Doppelmoral in ein konkretes Beispiel gepackt, um zu zeigen, dass die Doppelmoral direkt an der Grenze zu Europa beginnt:

Ich finde ja diesen ganzen Frankreich-Pseudo-Unterstützungs-Kram gerade sehr bedenklich. ISIS bombt den Russen ein Flugzeug mit 224 Menschen vom Himmel. Keine Sau reagiert.
ISIS bombt in Frankreich Menschen tot (ich will da jetzt nicht Menschenleben gegeneinander aufrechnen, aber von der Größenordnung her waren es vergleichbar viele), und überall kommen Frankreich-Fahnen hervor, auf Facebook, Twitter, bei Skype ist jetzt der Like-Button eine Frankreich-Fahne mailt mir gerade jemand, …

Und was ist mit den ganzen Drohnenmordopfern in Afghanistan? Mit den Toten im Irak? Mit denen in Syrien? Schulterzucken, wo man hinschaut.

Ich empfinde das gerade wie die Szene in 1984, als in der Mitte der Rede der Kriegsgegner von Eurasia nach Eastasia wechselt und keiner merkt es. Ihr springt alle auf das US-Terror-Narrativ auf und werdet Rädchen im Propagandaapparat und die Drohnenmorde gehen währenddessen munter weiter.

Und dann gibt es da noch die andere Betrachtungsweise. Die Islamisten machen ja solche Anschläge erstens als Reaktion auf Morde und Kriegsverbrechen des Westens in ihren Heimatländern, aber zweitens um den Westen zu weiteren Greueltaten dort zu provozieren, denn das validiert ihr Weltbild und treibt ihnen mehr Rekruten zu.

Ich bin ja Atheist, aber an der Stelle hat die Bibel Recht. Terroranschläge kann man nicht verhindern, und Polizeistaat-Reaktionen auf sie machen die Sache nur schlimmer. Da muss man meiner Ansicht nach die andere Wange hinhalten. Und man muss aufhören, denen Vorwände für ihre Anschläge zu geben.

Den letzten Satz kann ich allerdings nicht unterschreiben. Das Kind ist bereits in den Brunnen gefallen und der islamistische Terror ist da. Islamistische Terroristen werden immer etwas finden, was sie als Vorwand nehmen können, um uns terroristisch anzugreifen. Wir müssen trotz allem aber versuchen, die Ursachen für den Islamismus zu bekämpfen.

Das gewählte Beispiel mit der abgeschossenen russischen Maschine finde ich treffend. Es zeigt, wie unsere Wertung ist: Paris gut, Russland böse. So einfach geht das. Auch wenn ich nicht denke, dass die Bevölkerung genau so denkt. Ich sehe sehr viel Schuld im Staat und in den Medien.

Eine andere absurde Bewertung wird auch momentan deutlich.

Frankreich gut, Deutschland Nazi

In den sozialen Netzwerken „schminken“ derzeit alle ihre Profilbilder mit den Farben blau, weiß und rot. In schwarz-rot-gelb ist dies undenkbar.

Warum?

Wieso zeigen die Menschen gegenüber einem anderen Land eine Identifikation, die sie mit dem eigenen Land niemals zeigen würden?

Menschen, die in Deutschland ihre Landesfarben zeigen, werden als Nazis beschimpft. Das ist eine Sache, die ich nie verstehen werde. Während der Weltmeisterschaft 2006 und danach habe ich gedacht, dass sich dies nun endlich normalisiert hätte, hat es aber nicht.

Die Landesfarben eines anderen Landes sind okay, die eigenen nicht.

Mir fällt gerade auf, dass auch hier wieder an jeder Stelle das „schwarz-weiß“, das „gut-böse“-Schema auftaucht. Wir machen es uns immer wieder sehr einfach. Viel zu einfach und dann sterben Menschen.

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2 Gedanken zu „Paris – einige Gedanken

  1. Naja, durch den EU-Deal mit der Türkei wird das alles wesentlich bunter die nächsten Jahre. Erdogan und sein Sohn beliefern und finanzieren immerhin IS-Zellen. Vor kurzem wurden ja angeblich kurz vor Brüssel sogar 800 Schrottflinten abgefangen, die aus der Türkei an ansässige IS-Kämpfer gehen sollten. Das ganze wird die nächsten Jahre noch recht spaßig…

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