Lebenserinnerungen: Aus der Kindheit in den Alkohol

Lebenserinnerungen: Aus der Kindheit in den Alkohol

Meine Lebenserinnerungen sind nicht sehr chronologisch – auch wenn ich es versuche. Es ist aber so, dass ich mich nicht sehr vieler Erinnerungen bedienen kann. Die meisten Vorhandenen sind zu meist negativ, nur wenige sind schön.

Der erste Teil meiner Erinnerungen ist hier.

Eine liebe Tante und ein Leben voller Gewalt

Schöne Erlebnisse hatte ich, wenn meine Großtante aus Dortmund bei uns zu Besuch war. Ich erwähnte sie im ersten Teil meiner Erinnerungen. Das Essen schmeckte, man kümmerte sich um mich, man hörte mir zu, … Kurz: Ich wurde normal, nett behandelt.

Mein grundsätzliches Leben war durchgängig geprägt von Gewalt. Eine Gewalt, die ich regelmäßig erlebte. Im ersten Teil ging es bereits um die versuchte Umerziehung zum Rechtshänder und die Gewalt durch meinen Bruder.

Traumata bis ins Erwachsenenalter

Die Gewalt meiner Kindheit schlug sich in unterschiedlichen Traumata nieder. Eins davon war meine Raumangst (Klaustrophobie), die mich jahrelang bis ins Erwachsenenalter begleitete. Mein Bruder hatte Spaß daran, mir mit einem Kissen auf dem Gesicht die Luft abzudrücken bis ich panisch strampelte. Für mich waren es regelmäßig gefühlte Kämpfe um mein Leben.

Außerdem fand er es lustig, das Licht auf der Toilette auszumachen, wenn ich mich dort befand. Unser Klo war sehr klein, ohne Fenster und der Lichtschalter befand sich außen. Hatte er das Licht gelöscht, hielt er die Türe zu, damit ich in der kleinen Zelle ohne Licht gefangen war. Ich hatte regelmäßig Panikattacken, was meinen Bruder beim Türe zuhalten sehr erheiterte.

Es gab viele Panikattacken durch ein Kissen auf dem Gesicht oder das Eingesperrtsein im Dunkeln. Später sollte ich Probleme bei der Nutzung von Aufzügen haben, was mich dazu brachte, lange Zeit fast ausschließlich die Treppen zu nutzen. Sollte ich doch einmal einen Aufzug nutzen, stellte sich direkt eine alles überdeckende Beklommenheit ein. Es stellte sich eine Angst im Aufzug ein, die als erster Ansatz zu einer Panik wie die Angst des Erstickens oder auf der dunklen Toilette zu sehen ist.

Die Angst in Aufzügen oder kleinen Räumen sollte ich erst verlieren, als ich eine Therapie nach meinen späteren Erfahrungen mit einer Borderlinerin hinter mir hatte. Dies wird später ein Thema sein.

Eine Kindheit mit dem Gedanken: „Lauf bloß weg!“

Meine Kindheit war bereits früh vom Gedanken beseelt, dass ich von Zuhause weglaufen wollte. Ich versteckte sogar Geld im Garten falls ich einmal tatsächlich flüchten sollte. Rational war es nicht, wer will dies aber einem Kind vorwerfen, das dabei war Traumata zu entwickeln und unter der ständigen Gewalt durch seinen Vater und seinen Bruder litt? Es war alltäglich, dass ich „leichte Schläge auf den Hinterkopf“ von meinem Vater bekam.

Ein Lieblingsspruch meines Vaters war: „Leichte Schläge auf den Hinterkopf verbessern das Denkvermögen“. Mir hat es nur verängstigte Reaktionen eingebracht, wenn jemand hinter mir seine Hand erhoben hat. Auch dies sollte mich ins Erwachsenenalter begleiten.

Auf dem Weg zum Begleiter Alkohol

Ich glaube, die Gewalt endete langsam als ich Jugendlicher wurde. Zuvor aber wurden weitere Grundlagen dafür gelegt, dass der Alkohol zu viele Jahre ein „guter Freund“ von mir wurde.

Ich war 9 Jahre alt als mein Vater mich in seinem Büro mit Schnaps abfüllte. Das Büro war wegem seiner Selbständigkeit bei uns im Haus im Keller. Da mein Vater dem Alkohol zugeneigt war, hatte er Schnapsflaschen im Büro gelagert. (Ich erinnere mich an Weihnachtspräsente für Kunden durch seine Firma, die aus Schnaps, Schinken etc. bestanden.)

Eines Tages war ich unten im Büro als er einen Schnaps aus einer seiner Flaschen trank. Was ihn dazu getrieben hat, mich nun mit 9 Jahren abzufüllen? Man weiß es nicht. Sein späterer Spruch: „Ich wollte, dass dir schlecht wird und du nie wieder Alkohol anfasst!“, ist nicht diskussionswürdig. Wie dem auch sei, er stellte mir das erste Glas Schnaps hin und meinte: „Du schaffst es sowieso nicht, den zu trinken!“ Es braucht nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, dass ein 9jähriger Junge sich hier provoziert fühlen muss, den Schnaps zu trinken.
Es wiederholte sich viermal, was dazu reichte, dass ich das erste mal besoffen war.

So hatte mein Vater in meiner Kindheit mehrfach „pädagogisch wertvolle Ideen“: Beispielsweise die Umerziehung zum Rechtshänder oder das Abfüllen mit Schnaps. Dieses Abfüllen war der erste Schritt in Richtung „regelmäßigen Alkoholkonsums“, der sich in den Alkoholismus steigerte.

Einzelne Etappen zum Dauersuff

Es sollte nun aber 3 Jahre vergehen, bis ich das zweite Mal Betrunken sein sollte. Ich war 12. Das Alter kann ich genau bestimmen, weil es auf der Konfirmation meines Bruders war. Konformiert wurde er mit 14 und er ist 2 Jahre älter als ic h. Auf der Konfirmation meines Bruders war aufgrund des Alkoholkonsums meines Vaters eine Menge Alkohol zu haben. Ich hatte freien Zugriff auf Bier, was ich dementsprechend ausnutzte: Ich besoff mich, bis ich kotzen musste. Das war der zweite Schritt Richtung Alkoholismus.

Abspaltung vom eigenen Leid

Ich kann mich nun nicht mehr an allzu viel aus meiner Kindheit/Jugend erinnern. Es wird daran liegen, dass diese Zeit mit sehr viel Tränen verbunden war. Später sollte ich nicht mehr in der Lage sein, wegen mir selbst zu weinen. Kitsch und das Leid anderer waren allerdings immer dazu geeignet, mir Tränen in die Augen zu treiben.

Es ist auch noch heute so, dass eigene Belange für mich nicht richtig berühren. Es ist als würde ich auf diese Dinge als Beobachter schauen. Es ist irgendwie als wäre alles gegen erlittenes Unglück nebensächlich, gleichgültig. (Auch diese Bewertung ist eher beobachtend als emotional geprägt.)

Alkoholkonsum im Nebel der Erinnerung

Aufgrund der wenigen Erinnerungen fällt es mir schwer, meinen Weg in den Alkohol weiter zu skizzieren. Meinen Alkoholkonsum zwischen 12 und 14 kann ich nicht beschreiben. Ich könnte spekulieren, dass ich anfing zu konsumieren, weil wir immer Alkohol im Haus hatten. Zwischendurch haben sich allerdings meine Eltern getrennt.

Die Scheidung meiner Eltern

Zu ihrer Ehe und der Scheidung möchte ich nicht viele Worte verlieren. Es war eine schmutzige Angelegenheit. Allerdings muss ich sagen, dass mein Vater zumindest wegen der finanziellen Seite meiner Mutter gegenüber fair war: Rentenausgleich ihrer Zeit als Hausfrau, eine ordentliche finanzielle Unterstütung als sie, mein Bruder und ich das Haus verlassen hatten usw.

Als wir in einer Wohnung lebten, hatten mein Bruder und ich recht wenig von den finanziellen Zuwendungen seitens meines Vaters. Mein Bruder und ich zogen später zu meinem Vater zurück, mein Bruder brach den Kontakt zu meiner Mutter ab. (Was mich dazu getrieben hat, zu meinem Vater zurückzuziehen..? Ich kann es mir nur mit Materialismus erklären. Wie mein Bruder sollte ich später den Kontakt zu meiner Mutter abbrechen.)

Die Liebe zum Heavy Metal

In der Zeit als Kind (ab 11) entwickelte ich eine Liebe zum Heavy Metal. Als ich 11 war besuchten wir einen bekannten meines Vater. Dieser war ein recht bekannter Fußballtrainer und wohnte nicht allzu weit von uns in einem anderen Stadtteil. Dort zeigte mir der fast 20jährige Sohn seine Musiksammlung. Er war stolzer Heavy-Metal-Fan. Er schenkte mir die „Kiss Alive II“. Ich wurde aus einer Welt der eher schlichten Musik meiner Eltern (Volksmusik, Schlager, Operette) in eine für mich völlig andere Welt geworfen. Heavy Metal war für mich von Anfang an mit Individualität, Freiheit und einem „wilden Lebensgefühl“ verbunden. Ich fand etwas mit dem ich mich identifizieren konnte und es noch immer kann. (39 Jahre Heavy Metal!)

Was ich aber betonen will: Der Heavy Metal hat nichts mit meinem Alkoholkonsum zu tun. Es war meine psychische Verfassung, die sich ohne den Heavy Metal so entwickeln musste. Der Heavy Metal war Trost und Stärke für mich. Der Einfluss des Alkohols sollte aber übermächtig werden. Der Weg dahin liegt im Detail allerdings im Dunkel für mich.

Die Rückkehr zum Vater: Der nächste Schritt

Ich erinnere mich daran, wie ich mit der Rückkehr zu meinem Vater, einen großen Fundus an Alkohol zur Verfügung hatte. Ich weiß, dass ich mir regelmäßig Spirituosen aus dem Keller des Hauses „stibitzen“ konnte. Ich entwickelte im Laufe der Zeit (14? 15? 16?) eine Vorliebe für Bacardi Colo und Altbier.

Der Konsum von Alkohol war für mich normal. Mein Vater konsumierte bereits zum Frühstück Amaretto im Kaffee, hatte seinen Schnaps im Büro und konnte regelmäßig bei Firmenbesuchen trinken. Abends gab es dann die Literflasche Wein.

Alkohol war für mich wie der Kaffee für den normalen Menschen. Diese Erfahrungen habe ich von meinem Sohn später fernhalten können. Ich war später ein Vater, der weder Alkohol noch Tabak oder irgendwelche anderen „Substanzen“ konsumiert hat. Das macht mich im Nachhinein sehr zufrieden mit meiner Abstinenz und ich denke, dass diese Abstinenz ohne meine Erfahrungen nie so konsequent geworden wäre. Aber gut, da sind wir ja noch gar nicht. 😉

Ich erinnere mich also, dass ich regelmäßig in meinem Zimmer „Diebels Alt“ aus der (noch) bauchigen Flasche konsumiert habe. Zwischendurch gab es Bacardi Cola. Irgendwann war ich soweit, dass ich die Tage zählen konnte, an denen ich keinen Alkohol konsumiert habe.

Eine immer engere Liebe und lange Haare

Mein Verhältnis zum Heavy Metal wurde immer enger. Ich hatte angefangen, mir die Haare wachsen zu lassen. Was zunächst als „Vokuhila“ entstand, sollte dann zur Vollmähne geraten: Die Freundin meines Stiefbruders war Friseurin und schnitt uns die Haare. Eines Tages wollte sie sich bei meinem Vater einschleimen und schnitt mir die Haare (ohne Spiegel) komplett ab. Ich war also nun meiner Haare beraubt und musste so in den Urlaub nach Spanien fahren. Dort entschloss ich mich, mir meine Haare nun komplett lang wachsen zu lassen. Es sollte nichts mehr mit „vorne kurz“ werden. Diese Entscheidung war neben der Sauferei in Spanien gewachsen.

Nun werde ich 50, die Haare werden zwar dünner, aber ich bin immer noch langhaarig. (Meine Arbeitskolleginnen hatten immer kürzere Haare als ich.)

In Spanien gab es keine langen Haare und so gut wie keinen Heavy Metal. Der Alkohol aber war da. Unser Hotelchef war trockener Alkoholiker und hatte Spaß daran, andere abzufüllen. Also auch mich und meinen Schulfreund, der mit in Spanien war.

Ich weiß nicht mehr, wie alt ich genau war, als das mit meinen Haaren und Spanien passierte. Es muss vor meiner Zeit als 17jähriger auf dem Gymnasium gewesen sein. Meine Haare waren zu dieser Zeit nämlich wieder ein wenig gewachsen und ich war auch optisch wieder ein Heavy-Metal-Fan.

Der Konsum auf dem Gymnasium

Meinen Alkoholkonsum hatte ich natürlich von der Realschule mit auf das Gymnasium genommen. (Ich war zuvor auf der Realschule gewesen, weil ich aufgrund meiner Körpergröße (!) nicht auf das Gymnasium gekommen bin, sondern für mein Selbstbewusstsein auf die Realschule, auf der mein Bruder schon war. Die Idee dazu hatte eine „Pädagogin“ aus meiner Grundschule und meine Eltern waren dem hörig. Mir wurde also bereits im Ansatz eine schulische Karriere zumindest sehr schwer gemacht. Der Alkohol erledigte dann den Rest.

Während meiner Schulzeit auf dem Gymnasium konsumierte ich bereits vormittags Bier und Jägermeister. Das war meinen schulischen Leistungen natürlich eher schädlich und ich schloß das Gymnasium gerade so mit der Fachhochschulreife ab.

Für die Fachhochschulreife musste ich noch eine Ausbildung abschließen. Die einzige Stelle, die ich dazu bekam: Auszubildender zum Justizangestellten. Darüber möchte ich aber im 3. Teil meiner Lebenserinnerungen berichten, wenn es um den ersten Abstinenzversuch und erlittener häuslicher Gewalt geht.

Letzte Anmerkungen zu Diskriminierung & Co.

Was ich aber noch ansprechen möchte:
In der derzeitigen Welt sucht man immer nach Diskriminierungen: Rassismus, Sexismus, Homophobe etc.
Angeblich komme ich als weißer, heterosexuelle Mann nicht für Diskriminierung in Frage. Allerdings muss ich feststellen, dass für mich als männliches Wesen die Gewalt mir gegenüber ein ständiger Begleiter war. Ich denke nicht, dass viele Mädchen derartiges erleben wie ich. Als „deutsches Kind“ begegnete ich in meiner Kindheit immer einem andersartig gelagertem Rassismus: „Ein deutscher Junge weint nicht“, „Das macht man nicht als Deutscher“ etc. Erwartungshaltungen aufgrund der „Rasse“ an einen Menschen sind durchaus rassistischer Natur.

Weitere Diskriminierungen: Aufgrund meine Haarlänge war ich schnell der „langhaarige Bombenleger“, der Schwule oder gar der Transsexuelle. (Mein Onkel sagte mir auf einer Familienfeier, die Familie würde für meine Geschlechtsumwandlung sparen.)

Ich war also nun ein kleiner Mensch mit langen Haaren. Ich kenne jeden Zwergenwitz dieser Welt und mir wurde häufig eine Sexualität unterstellt, die ich nicht hatte. Feministinnen von heute heulen, dass sie sich die Haare nicht rasieren dürften etc.

…aber mit meinen Erfahrungen sind meine Diskriminierungserfahrungen noch nicht abgeschlossen. Konkrete Diskriminierungen als Mann und Vater warteten noch auf mich. Auch dies soll im 3. Teil folgen.


Der Kerl mit den Lebenserinnerungen sucht einen Job in Frankfurt. 😉
Meine Webseite zu Beruflichem: Wolf Jacobs

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